Tadoussac (Québec, Canada) (GPS: 48°11,046'N; 069°41,774'W)
Auch auf Stein macht sich die Flagge Labradors gut. |
"Turn right at the traffic-light, then proceed on highway #138!" tönt die sonore Stimme aus dem Navi. Kaum springt die Ampel auf Grün, finde ich mich im alltäglichen Wahnsinn der canadischen Highways wieder. Hunderte von Autos vor mir, tausende hinter mir, Dutzende Verkehrsschilder und mindestens genauso viele Ampeln! Mit einem Schlag bin ich zurück in der sogenannten 'Zivilisation'. Bis ich mich hier wieder zurechtfinde, wird es wohl einige Tage dauern!
Baie-Comeau heißt das Städtchen mit der magischen Ampel, an der die #389 und die #138 aufeinandertreffen wie Wege aus unterschiedlichen Welten. Baie-Comeau liegt zwar schon in Québec, aber direkt am St.Lorenz-Strom und ist Dreh- und Angelpunkt von Allem, was in den Norden will oder von dort kommt - einschließlich Labrador. Also auch für mich. Vier Wochen war ich dort oben unterwegs gewesen, so weit oben, dass es nicht weiter ging. Hatte Wälder gesehen bis mir grün vor Augen wurde, hatte mich über Seen und Ponds gefreut, hatte Wasserfälle bestaunt - oder vielmehr die Überreste davon - und mich dabei von einem Outpost zum nächsten gehangelt.
Ein großes Land ist Labrador in der Tat. |
Um ein Haar hätte ich die 2500 Kilometer bis Nova Scotia auch wieder zurückfahren müssen, doch der Wind stand günstig und ich konnte gerade noch so durchschlüpfen! Mehr dazu weiter unten. Und ja, Labrador ist wirklich ein big Country, ganz wie die Willkommenstafel bei Blanc Sablon verspricht. Dabei habe ich nur einen winzigen Bruchteil dieses riesigen Landes gesehen. Nicht mal ein Prozent, würde ich schätzen! Dabei ist Labrador (zusammen mit Neufundland) flächenmäßig die kleinste der canadischen Flächenprovinzen (siehe Karte )
Volltanken ist in jedem Fall angesagt! |
Nur zur Orientierung: Labrador selbst ist fast genauso abgeschnitten von der Welt wie die meisten ihrer Städte und Dörfer von ihren Nachbarn. Nur ganz im Osten führt eine Fähre nach Neufundland - und weiter in die 'Zivilisation' nach Nova Scotia. Ganz im Westen wiederum führt eine unbefestigte Piste (schon auf Québec-Gebiet) nach Baie-Comeau. Das war's auch schon. Will man anderweitig nach Labrador kommen, muss man den Flieger, das Schiff oder die Eisenbahn bemühen! Auch innerhalb der Provinz wird meist geflogen oder in den Küstenorten auf das Schiff vertraut, das zwischen Juli und September - aber nur dann (wegen des Packeises) - die kleinen Häfen anläuft. Es ist also ein Land mit wirklich viel Platz! Gerade deshalb hatte ich es mir ausgesucht!
South Labrador Coastal Drive
Nur langsam schält sich die Fähre aus dem Nebel. |
Zurück also nach St.Barbe bzw. Blanc Sablon, wo die Fähre zwischen Neufundland und Québec (bzw. Labrador, die Grenze liegt nur drei Kilometer vom Fähranleger entfernt) verkehrt. Dank staatlicher Unterstützung ist die Überfahrt spottbillig (21€ mitsamt Lady Grey) und vermutlich deshalb gut frequentiert. Von der Überfahrt selbst bekommt der Passagier allerdings wenig mit - dichtem Nebel sei Dank. Keine Seltenheit hier am kalten St.Lorenz-Strom, von dem ein lokales Sprichwort sagt: "Von zehn Tagen herrscht neun Tage Nebel - und am zehnten Sturm!" Tatsächlich lichtet sich der Küstennebel oft erst gegen Mittag für zwei, drei Stunden. Dann scheint auch schon mal die Sonne.
Trotz Nebel gibt's idyllische Stellplätze - auch hier. |
Ebenso zahlreich wie die Nebeltröpfchen scheinen allerdings die Moskitos zu sein. Wahre Monster! Oder die Blackflies. Oder die No-See-Umms, winzige, kaum erkennbare Fliegen, die fast noch mehr nerven als die Moskitos. Ein nicht wirklich einladendes Gebräu, auf dem Camp im Pinware River P.P. ist es besonders schlimm! Weiter im Landesinneren lässt die Plage etwas nach, aber ganz ungeschoren kommt man auch dort nicht davon!
Viel Aufregendes hat der South Labrador Coastal Drive - besser bekannt als #510 - erst mal nicht zu bieten, lediglich ein halbes Dutzend kleiner (Fischer-)Dörfer an immer neuen Buchten, die einen überraschend modernen und gepflegten Eindruck machen - sogar nagelneue Häuser kann ich entdecken. An jedem Haus stehen ein, zwei Boote bereit, trotzdem haben die Bewohner mit Fischerei nicht mehr viel am Hut - allenfalls in der Freizeit. Stattdessen arbeiten sie in den großen Minen des Nordens und kommen nur alle paar Wochen nach Hause. Als ich später die dortigen Unterkünfte sehe, kann ich die Pendler gut verstehen - auch wenn der Weg zur Arbeit schon mal 1200 Kilometer misst! Aber auch jede Menge 'Urlauber' verschlägt es an die raue und neblige Ostküste Labradors - allenthalben wird AirBnB angeboten.
Das älteste Grab eines Nordamerikaners … |
Wollt ihr Näheres über das älteste Grab wissen? |
Vor sieben- bis neuntausend Jahren (je nachdem, welcher Quelle man glaubt) muss das ganz ähnlich gewesen sein. Ob es allerdings Arbeiter oder Urlauber waren, die es hierher verschlagen hat, ist noch nicht abschließend geklärt! Fakt ist, dass nahe des Dorfs L'Anse Amour - bestehend aus fünf Häusern - das Grab eines jungen Mannes entdeckt wurde, das der Maritime Archaic Culture zugerechnet wird und als das älteste Grab eines Nordamerikaners gilt! Verglichen mit den zahlreichen Monumenten, die an die ersten Europäer [1] an diesen Gestaden erinnern, macht es allerdings einen höchst jämmerlichen Eindruck: ein unscheinbarer Erdhügel mit ein paar Steinen, der trotz Hinweistafeln kaum zu erkennen ist! Dennoch zollt man den Indigenen hier wenigstens ein klein wenig Respekt: die historischen Hintergründe werden gleich in vier Sprachen erklärt! [2]
Der höchste Leuchtturm bei L'Anse Amour. |
Auch mit einem Leuchtturm kann das Fünf-Häuser-Dorf aufwarten, sogar dem zweithöchsten Canadas. Stattliche 33 Meter misst er! Dass er seine Berechtigung hatte zeigt der Schiffsfriedhof gleich nebenan: da liegt auf vielleicht fünf Kilometern Strand ein Dutzend Schiffswracks; sogar solche aus unseren Tagen, wie die 'HMS Lily' oder die 'HMS Raleigh', ein Flaggschiff der Royal Navy, das 1922 hier strandete.
Nach dem Pinware River, einem ausgezeichneten Revier für Lachse geht es noch einmal hügelauf, hügelab zur Bucht
von Red Bay, einer 'historisch bedeutenden' Niederlassung von baskischen Walfängern, die sogar UNESCO-Welterbe-Status erlangte:
"Im Europa des 16.Jahrhunderts war Tran (Walöl) ein kostbares und profitables Produkt. Millionen Liter Lampenöl wurden benötigt, darüber hinaus fanden die Barten der Wale Verwendung, z.B. für Korsetts. Bereits um 1540 hatten baskische Fischer die Ergiebigkeit der Straight of Bell Isle entdeckt. Vor allem die nördlichen Glatt- und Grönlandwale wurden dort gejagt und auch gleich in den Stützpunkten an Land verarbeitet. In Spitzenzeiten kamen jährlich 2.500 Walfänger in 50 Schiffen für etwa 8 Monate nach Labrador und produzierten schätzungsweise 2,4 Millionen Liter Tran. " [aus Reise-Know-How 'Kanada - der maritime Osten', S.412] |
So oder ähnlich sehen die meisten Dörfer an Labradors Ostküste aus. |
Klingt ja ganz interessant, doch die Überfahrt nach Saddle Island, wo die eigentlichen (originalen) Relikte der Basken zu bewundern wären, ist unverhältnismäßig kostspielig. Deshalb begnüge ich mich mit einem Blick in den Reiseführer und rolle gemächlich die #510 weiter, die nun endgültig ins Landesinnere schwenkt. Mit jedem Meter, den sie sich von der Küste entfernt, entfernt sie sich auch von der Zivilisation. Das Landesinnere ist menschenleer - selbst für canadische Verhältnisse (wo man gerne etwas 'verstreut' wohnt )! Das fängt gleich hundert Meter hinter dem letzten Haus an! Mit einem Schlag bin ich allein … allein mit der Straße, allein mit der Lady Grey, allein mit mir selbst! Das Navi zeigt die Entfernung zur nächsten Kreuzung: 630 Kilometer!
Kurvenreich schlängelt sich die Straße zwischen unzähligen Seen hindurch. |
Zunächst drücke ich noch aufs Tempo, die Entfernung scheint übermäßig groß; das will ich so schnell wie möglich hinter mich bringen! Doch nach zwei, drei Stunden ohne ein einziges Auto kehrt innere Ruhe ein, die Tachonadel steht bei 65km/h, gemütlich rolle ich durch eine unerwartet abwechslungsreiche Landschaft, staune über die großen und kleinen Seen - entweder direkt neben der Straße oder zwischen den Bäumen hindurchschimmernd - und frage mich, wo es wohl mehr von ihnen gibt: in Finnland oder hier? Vermutlich hat aber doch Labrador die Nase vorn!
Bog (Sumpf, Nasswiese) neben der Straße. |
Trotz manch langer, schnurgerader Passage wird es nie langweilig. Dinge links und rechts der Straße kann ich etwas genauer in Augenschein nehmen als das anderswo möglich wäre - auf plötzlichen Verkehr muss ich nicht achten - die Straße ist auf Kilometer hinweg zu übersehen. Für Belustigung sorgt zudem das Navi, das vor immer neuen Gefahren warnt: "Caution! Sharp curve ahead!" quäkt es … und dann macht die Straße doch nur eine winzige Biegung, die nicht einmal die Bezeichnung 'Kurve' verdient! Die Straße selber ist breit, seit kurzem durchgehend geteert und über weite Strecken prima zu fahren. Erst kurz vor der ominösen Kreuzung wird sie etwas wellig und zwingt auch mal zum Runterschalten. Bei Regen allerdings ist Vorsicht geboten, denn die Spurrinnen sind tief und bevor man sich versieht, ist man aufgeschwommen. Also lieber eine halbe Spur versetzt fahren!
Nach drei absolut ruhigen Nächten mitten im Nirgendwo [3] - zweimal sogar ohne Moskitos - kommt die erste 'Stadt' in Sicht: Happy Valley - Goose Bay.
"Happy Valley - Goose Bay auf 53° nördlicher Breite (das ist die Breite
von Bremen!) ist Luftwaffenstützpunkt und Verwaltungs- und Versorgungszentrum für ganz Labrador. Hier treffen alle wesentlichen Land-, Luft-, und Schiffsverbindungen Labradors zusammen. Zu den 8.000 Einwohnern kommen noch Militärs der Air Base hinzu, deren Landebahn mit 3.367 Metern eine der längsten Nordamerikas ist und sich für die größten Transportmaschinen in voll beladenem Zustand (z.B. für internationale Einsätze) eignet. Auch Bundeswehrpiloten trainieren hier." [aus Reise-Know-How 'Kanada - der maritime Osten', S.417] |
Eine solide Brücke führt über den Churchill River. |
Warum die Stadt diesen ulkigen Namen trägt, kann ich nicht in Erfahrung bringen. Besonders happy allerdings erscheint mir niemand, denn die Stadt platzt aus allen Nähten. Warum, das erfahre ich an der Tankstelle: Labrador City, mein nächstes Ziel und weitere 530 menschenleere Kilometer entfernt ist von einem Bushfire bedroht und wurde deshalb evakuiert. Nun sind die Bewohner allesamt zu Gast in Happy Valley! Hotels, Motels, Camps: alles ist restlos ausgebucht. Doch man scheint Übung in solchen Dingen zu haben: riesige Zelte sind aufgestellt, große Versammlungshallen wurden zu Schlafsälen umfunktioniert, allenthalben stehen Einheimische bereit, den Gestrandeten zu helfen. Von Chaos - soweit ich das beurteilen kann - keine Spur!
Trans Labrador Highway
Zebrastreifen so farbenfroh wie die ganze Community! |
Für mich allerdings stellt sich die Frage, wie es weitergeht! Die Straße - die einzige! - nach Labrador City und weiter nach Baie-Comeau, sprich zurück in die Zivilisation kann jeden Moment dem Feuer zum Opfer fallen - je nachdem, wie schnell es sich ausbreitet und woher der Wind weht! Würde die Straße tatsächlich gesperrt werden, hieße das für mich: umkehren! Zurück nach Neufundland, zurück nach Nova Scotia, genau die gleiche Strecke, die ich hergekommen bin! 2.500 lange Kilometer! Alternativen gibt es nicht!
Auch bei den Muskrat Falls ist der Fluss aufgestaut. |
"Nein! Nicht mit mir!" denke ich im Stillen und wäge schon die Alternativen ab: zwei bis drei Wochen in sicherer Entfernung campieren und das Feuer aussitzen! Irgendwann muss die Straße ja wieder freigegeben werden! Alles, alles wäre besser als 2.500 Kilometer auf altbekannter Route zurückzufahren! Drei Tage habe ich Zeit, darüber nachzudenken - derweil rolle ich weiter nach Westen. Ziel: Labrador City!
Verglichen mit dem South Labrador Coastal Drive ist der eigentliche Trans Labrador Highway, die #500, eine vielbefahrene Schnellstraße! Verbindet sie doch das Verwaltungs- und Logistikzentrum von Happy Valley mit den Erzminen rund um Labrador City sowie mit Churchill Falls, dem mächtigen Kraftwerk, das den ganzen Norden (und weite Teile des Südens) mit Strom versorgt!
Weit verstreut stehen die Häuser entlang des Highway #500 |
Beide Städte existieren erst seit den 1960-er Jahren und ohne Erz bzw. Wasser sähe es dort aus wie im übrigen Norden: Wald und Tundra bis zum Abwinken! Den Highway gäbe es dann natürlich auch nicht! Seither ist auch die Region zwischen den Städten dicht besiedelt: alle fünfzig, sechzig Kilometer kann ich eines der schmucken Häuser entdecken - stets weitab der Straße gelegen und nur über schmale, allenfalls ATV-taugliche Wege erreichbar. Schon überlege ich, an welchem der idyllischen Seen ich mein lang ersehntes Tinyhaus errichten könnte, doch dann denke ich an den Winter und seine Temperaturen (nicht selten unter -30°C). Brrrrrhhhhh!!!! Und ganz ehrlich: die Lage mag noch so viele Reize haben, zum nächsten McDonald, zum nächsten Baumarkt ist es doch arg weit!
Die Siedlung wurde nur für die Arbeiter angelegt. |
Dass man es bei der Erschließung mit dem Natur- und Umweltschutz nicht sonderlich genau genommen hat, liegt auf der Hand; zu groß sind die Gewinne, die man hier einfahren kann! Obendrein war 'so etwas' in den 1960, 1970-ern ja auch noch gar kein Thema. Doch heute schmerzt der Anblick eines trockengelegten Wasserfalls doch gewaltig. Von den gewaltigen Gebirgen, sprich Abraumhalden rund um Labrador City ganz zu schweigen! Aber der Reihe nach!
Glücklicherweise sind das nur schwere Regenwolken. |
Der mächtige Churchill River entwässert nahezu ganz Labrador und führt entsprechend viel Wasser. An den Churchill Falls - 300 Kilometer westlich von Happy Valley gelegen - stürzte der Strom in mehreren Kaskaden dreihundert Meter in die Tiefe und hatte sich in den Jahrtausenden eine imposante Schlucht gegraben, die der des Sambesi im Süden Afrikas in nichts nachsteht: schmal, aber ungemein tief! Ihr erinnert euch: am Sambesi liegen die weltbekannten Victoria Falls!
Hier allerdings hat man kurzerhand den gesamten Fluss umgeleitet und heute stürzen seine Wassermassen durch übermannshohe Fallrohre in die Tiefe und treiben gewaltige Turbinen an. [5] Eine Energiequelle ungeheuren Ausmaßes - der elektrische Strom wird bis hinüber nach Neufundland und Nova Scotia übertragen (HVDC-Link, ±750kV), das Gros geht jedoch nach Québec (wo ein halbes Dutzend weiterer Erzminen mit Energie versorgt werden wollen) und hinunter nach Toronto. Dabei ist das Kraftwerk bei den Churchill Falls nicht das einzige: vier weitere liegen am gleichen Fluss und liefern Strom in den energiehungrigen Süden. Topografie und Regenmengen machen's möglich.
Klägliche Überreste eines Naturspektakels. |
Könnt ihr euch ausmalen, was hier früher los war? |
Überreste eines einst grandiosen Wasserlaufs. |
Auch hier hat es vor wenigen Jahren gebrannt. |
Von dem einst mächtigen Strom blieb allerdings nur ein müdes Rinnsal übrig, das sich nach wie vor in die majestätische Schlucht stürzen darf! Nennt sich jetzt auch nur noch Hamilton Falls (allfällige Parallelen zum Leibesumfang der Herren Churchill und Hamilton wären rein zufällig ). Sieht man das schmale Rinnsal in dem mächtigen Flussbett und stellt sich vor, wie das vor fünfzig, sechzig Jahren ausgesehen haben muss … man könnte üble Laune bekommen! Andererseits könnte ich mich vermutlich gar nicht darüber echauffieren, denn ohne das Kraftwerk gäbe es auch die Straße nicht, die mich hergebracht hat!
Labrador City
Rauchwolken verfinstern den Himmel über Lab' City. |
Ohne das Kraftwerk gäbe es auch Labrador City nicht. Beziehungsweise Wabush, ihre Schwesterstadt, gemeinsam als Labrador West bezeichnet. Knapp 20.000 Einwohnern (davon etwa 9% Inuit und Métis) leben für gewöhnlich hier. Oder sollte ich sagen: schuften hier? Denn die Stadt ist eine reine 'Arbeitsstadt' und allenfalls die leitenden Angestellten finden ein wenig Grün vor ihrer Haustüre. Die Minen arbeiten rund um die Uhr im Schichtbetrieb; die Arbeiter schuften drei Wochen, dann haben sie drei Wochen frei - sonst lohnt sich die lange Anreise nicht (meist per Flugzeug). Nun zu gut kann ich die Pendler verstehen, die lieber 1200km hin- und herpendeln als hier dauerhaft zu wohnen!
Allüberall entdeckt man die Anzeichen früherer Bushfire. |
Aktuell sind die beiden Städte allerdings menschenleer - sieht man von Polizei und Feuerwehr ab. Eindringlich werde ich gleich am Ortseingang vergattert: die Stadt sei evakuiert - wegen eines Wildfires. Ich darf also in der Stadt weder anhalten noch aussteigen, Läden und Tankstellen seien ja sowieso geschlossen. Aber zumindest ist die Durchgangsstraße offen und problemlos befahrbar! Ein Stein fällt mir vom Herzen: die fade Rückfahrt nach Neufundland und Nova Scotia bleibt mir erspart!
Labrador City ist nur ein riesiger Industriekomplex. |
Die Stadt selber macht einen desolaten Eindruck, an der Hauptstraße reihen sich Werkstätten für schweres Minengerät - Bulldozer, Schaufelbagger und Muldenkipper - aneinander und die Seitenstraßen wurden völlig abgeriegelt. Selbst McDonald und Walmart sind verbarrikadiert. Über allem hängt eine dunkelgraue, bedrückende Rauchwolke. Vom Feuer selbst ist jedoch nichts zu sehen, vier Kilometer nordwestlich des Hospitals soll es wüten, wird mir berichtet, und es soll unglaublich heiß sein!
Trotz Regen ist die Waldbrandgefahr hoch! |
Nachdem es in den vergangenen Tagen immer wieder geregnet hat - und das nicht wenig - bin ich erstaunt, wie hartnäckig das Feuer lodert. Löschflugzeuge oder ähnliches kann ich allerdings nicht ausmachen: vermutlich lässt man das Feuer einfach brennen und versucht, nur die Stadt bzw. die technischen Einrichtungen zu schützen, so gut es geht. Ein Wildfire ist hier schließlich nichts Ungewöhnliches, im Kreislauf der Natur gehört es einfach dazu! Irgendwie beklemmend ist es trotzdem!
Rücksturz in die Zivilisation: die #389
Zum Glück muss ich nicht an die Tanke (ist ja eh geschlossen), sondern kann gleich weiterrollen: zwanzig Kilometer entfernt wartet schon die Grenze zu Québec. Kontrolliert wird natürlich nicht, nur das Navi muss ich umstellen (andere Provinz) - und mein Sprachmodul: hier wird - ausschließlich - Französisch gesprochen.
Kilometerlange Güterzüge bringen den Reichtum … |
Ansonsten das gleiche Bild wie drüben in Labrador City: Abraumhalden, soweit das Auge reicht. Dazwischen breite Pisten für schweres Gerät, wenig ansehnliche Förderbänder und schmutzstarrende Aufbereitungsanlagen. Was genau da gefördert wird, möchte ich gar nicht wissen, dem Reiseführer nach sollen es Eisenerze und Kohle sein, die im Tagebau abgebaut werden! Ungefragt poppen Bilder von Bitterfeld, Leuna oder der Schwarzen Pumpe auf. Zum Glück wird das Zeug nicht auf der Straße abtransportiert, sondern über eine eigene Eisenbahnlinie, die 800 Kilometer gen Süden nach Sept-Iles verläuft. Dort wird aufs Schiff umgeladen und ab damit nach Europa oder in die USA.
Abraumhalden einer gigantischen Eisenerzmine. |
Seit der Grenze Labrador - Québec trägt die Straße auch keinen wohltönenden Namen mehr, heißt nur noch #389. Dafür gibt's aber auch keine Teerdecke mehr! Zweimal siebzig Kilometer - dort, wo die Route durch das Gelände irgendeiner Mine verläuft - holpert man auf Schotterpisten dahin. Die sind zwar leidlich gepflegt, aber es herrscht unerwartet viel Verkehr. Vor allem überbreite Sattelschlepper! Doch auch hier bewahrheitet sich die alte Weisheit: "Eine gute Piste ist hundertmal besser zu fahren als eine schlechte Straße!" Auch die Landschaft wandelt sich, je weiter ich wieder in den Süden komme: in stetigem Auf und Ab führen Straße bzw. Piste durch bergiges Terrain, das ausnahmsweise mal nicht von Abraumhalden bestimmt ist.
Bei Gagnon - bestehend aus Tankstelle und drei Wohncontainern - ist endgültig das Tal des Rivière Manicouagan erreicht. Quasi der québec'sche Bruder des Churchill River. Auch am Manicouagan dienen die fünf Staustufen vorwiegend der Stromproduktion [6], das Kraftwerk Manic-5 kann man sogar besichtigen - sofern man Französisch spricht!
Das Kraftwerk Manic-3 ist nur eine der kleineren Anlagen am Rivière Manicouagan! |
Je mehr man sich der Küste nähert, desto stärker wird auch der Verkehr. Vor allem der Schwerlastverkehr! In den Minen weiter oben geht ja immer etwas kaputt … und die Ersatzteile werden ausnahmslos per Tieflader herangekarrt. Von Ruhe und Abgeschiedenheit kann jedenfalls keine Rede mehr sein! Nach zehn Kilometern nagelneuer - dreispuriger - Straße stehe ich dann urplötzlich vor der magischen Ampel von Baie-Comeau! Und bin zurück in der Zivilisation - viel zu früh für mein Empfinden … und viel zu abrupt!
Da kommt Freude auf: Landschaft nahe Gagnon. |
Inzwischen komme ich wieder ganz gut klar damit, aber der Unterschied zwischen hier und dort ist doch gewaltig! Und ganz ehrlich: dort hat es mir besser gefallen! Das Einzige, was ich wirklich vermisst habe waren Bären und Elche. Vor denen warnen zwar unzählige Verkehrsschilder, doch vors Auge respektive vor die Linse habe ich keinen einzigen bekommen! Schade, schade!
Vielleicht habe ich ja auf der nächsten Etappe mehr Glück, denn das eigentliche Bear-Country fängt ja gerade erst an! Deshalb werde ich morgen gleich wieder abbiegen: auf die #172 Richtung Saguenay und Val d' Or. Und bin genauso gespannt wie ihr, was mich dort erwartet!