Tucson (Arizona, USA)
(GPS: 32°17.982'N; 111°21.761'W)
Vordenker in Sachen Umwelt? Die Forscher des Biosphere 2
Hundert Meilen nördlich von Tucson (Arizona) liegt eine Anlage, die man ohne Übertreibung zu den Meilensteinen in Sachen Umweltforschung zählen könnte: Biosphere 2. Wäre da nicht die liebe Politik gewesen - und das liebe Geld!
![]() Die gesamte Anlage des Biosphere 2 ist recht nett angelegt. |
In den frühen 1990-er Jahren - damals träumte man von einer Besiedelung des Mondes - sollte hier ganz lebensnah erprobt werden, wie so etwas vonstatten gehen könnte. Wie man eine erdähnliche Biosphäre außerhalb von Mutter Erde schaffen könnte. Ob und wie Menschen auf dem Mond überleben und sich ernähren könnten, ohne dass jeden Tag ein Space-Shuttle von McDonald raufkommen müsste. Dazu musste man aber erst einmal herausfinden, wie die irdische Biosphäre überhaupt funktionierte. Nicht im Detail - das wusste man schon ansatzweise -, sondern im großen Ganzen! Eine Fragestellung, an der auch heute die Wissenschaft noch gehörig zu knabbern hat. Die aber doch so überlebenswichtig ist - gerade in Zeiten des globalen Klimawandels.
![]() Die Architektur des Biosphere 2 ist recht ansprechend. |
Heute wird dabei viel mit mathematischen Modellen gearbeitet, doch die mussten erst einmal entwickelt werden. Was u.a. mit den Daten erfolgte, die von Biosphere 2 gesammelt wurden. Damals jedoch wolle man es praktisch und ganz hautnah ausprobieren. Also baute man ein gigantisches - absolut luftdichtes - Gewächshaus [1], schuf vier unterschiedliche Biotope - vom Wüstenareal bis zum tropischen Regenwald -, dazu einen Mini-Ozean und setzte darin acht Menschen und zwei Dutzend Tiere aus, um irgendwie zurechtzukommen.
![]() Die acht Bionauten |
Die Bewohner - liebevoll Bionauten genannt - zogen ihr eigenes Getreide, bauten Kaffee und Kakao an, hielten sich Ziegen und Schweine und versuchten, über die Runden zu kommen. In den riesigen Gewächshäusern wuchsen zudem ganz unterschiedliche Pflanzen, die Essbares produzierten und gleichzeitig über ihre Photosynthese das CO2 der Bewohner in Sauerstoff zurückverwandelten. So war zumindest für etwas frische Luft gesorgt! Denn hinaus aus ihrem luftdichten Kokon durften die Forscher zu keiner Zeit … und einfach mal das Fenster aufreißen, um frische Luft zu schnappen, funktioniert auf dem Mond ja auch nicht recht!
![]() Im 'Habitat'-Teil des Biosphere 2 lebten die Forscher 2 Jahre lang. |
Das höchste der Gefühle war das 'Minarett', ein Zimmer an der höchsten Stelle des »Habitats«, von dem aus die Bionauten die umliegende Kakteen-Landschaft bewundern … oder sich in ein Buch vertiefen konnten. Ansonsten hieß es Arbeiten (12 bis 14 Stunden pro Tag, um nächste Woche etwas zwischen den Zähnen zu haben) bzw. Forschen, sprich akribisch Buch führen, was man so tat oder wie viele Kalorien das eben geerntete Gemüse brachte. Im Schnitt mussten die Damen und Herren nämlich mit 1500 bis 1800 Kalorien pro Tag auskommen - wahre Hungerrationen - und Fleisch gab's nur, wenn eine Ziege keine Milch mehr gab.
![]() Im ersten Gewächshaus des Biosphere 2 herrscht Wüstenklima |
Zwei Jahre später wusste man, dass das so nicht funktionierte. Die Hälfte der Pflanzen war eingegangen, einige Tiere hatten sich sprunghaft vermehrt (z.B. Kakerlaken), andere waren auf den Tellern der Bionauten gelandet. Trotzdem waren die Bewohner abgemagert und ausgehungert. Das Essen war zwar nährstoffreich, aber kalorienarm … und immer, immer zu wenig; die Reis-, Soja- und Gemüse-Kulturen gaben einfach nicht genug her! [2]
![]() In einem weiteren Gewächshaus herrscht Mittelmeerklima |
Das weit größere Problem jedoch bildete der Sauersoff (O2) - auch davon gab's zu wenig. Die Pflanzen produzierten einfach nicht genug, sodass der O2-Gehalt der Atemluft über die Monate auf gefährliche Werte absank. Als es nur noch 14% waren - normal sind 21% - wurde entschieden, mit künstlichem Sauerstoff von außen nachzuhelfen. [3]
Ein ebenso großes Problem waren die Menschen selbst: ihre Psyche. In einer Gruppe von acht Menschen (vier Frauen und vier Männer) auf beengtem Raum zusammenzuleben, ohne jeden persönlichen Kontakt zur Außenwelt, nur auf sich selber gestellt: das allein ist schon eine gewaltige Herausforderung. Dazu die kargen Essensrationen und die mentale Belastung eines möglichen Scheiterns. Schließlich auch noch der Teamarzt, der schwer erkrankte …
![]() Im dritten Gewächshaus: dichter Dschungel |
Ausschlaggebend für das Scheitern waren am Ende jedoch nicht die Probleme drinnen, sondern die draußen: das Umfeld. Wie nicht anders zu erwarten, weckte das Projekt auch außergewöhnliches öffentliches Interesse: Presse, Politiker und Forscher überschlugen sich gleichermaßen mit Kommentaren und Ratschlägen an die Bionauten, mutmaßten Betrug und Schmuggel (Essen!) und zogen die wissenschaftliche Arbeit der Forscher (allesamt promovierte Akademiker) in Zweifel: eine renommierte Universität stand ja nicht hinter dem Projekt, sondern nur ein paar angeblich grün-alternative Geldgeber. Visionäre eben. [4] Jedenfalls dauerte es kein Jahr bis auch das Management völlig zerstritten war, was Ziele und Aufgabenstellung des Projekts anbetraf. An den Bionauten gingen die Kontroversen nicht spurlos vorüber - die Fraktionen arbeiteten aber weiter eng zusammen. Sonst aber ging man sich aus dem Weg, so gut das auf 200 Quadratmetern Wohnraum mit Gemeinschaftsküche [5] möglich war. Drinnen war schließlich jeder auf den Anderen angewiesen!
![]() Auch die Ökologie des Ozeans will erforscht werden … |
Am Ende zog einer der Geldgeber die Reißleine. Am 26.September 1993, exakt zwei Jahre nach Projektstart, wurden die Türen des Habitats geöffnet und die Bionauten entlassen. Ein Jahrhundertprojekt hatte sein vorzeitiges Ende gefunden! Trotzdem hatte man viel, viel gelernt. Nicht nur über die Ökologie unserer Erde, sondern auch über das Zusammenleben unserer Spezies. Auf künftigen Marsmissionen, wie sie Elon Musk so sehr am Herzen liegen, wird er einiges davon gebrauchen können!
1994, wiederum ein halbes Jahr später wurde ein zweiter Anlauf gestartet, bezahlt und geleitet von einem Banken-Konsortium.
Perfekte Voraussetzungen also für einen weiteren Crash! Diesmal dauerte die Zusammenarbeit nur zehn Monate, bevor die Columbia Universität in New York die Anlage übernahm - zwangsweise, könnte man sagen. Sie führte aber nur noch kleine, mit dem 'großen Ganzen' nicht mehr vergleichbare Experimente durch. 2005 wurde auch das zu teuer und die Anlage stand zum Verkauf - ein Vergnügungspark mitsamt Wohnanlage sollten entstehen!
Weitere Details könnt ihr in dem interessanten Artikel
bei Wikipedia oder der offiziellen Webseite von biosphere2.org
nachlesen.
![]() Solche Ausblicke blieben den Forschern erspart … |
Mitte 2007 übernahm schließlich die Universität von Arizona das Gelände und führte die Forschungen fort - bis heute! Welch ein Glücksfall! Zwar wird nicht mehr zum 'großen Ganzen' geforscht, die riesigen Gewächshäuser mit ihrem geregelten Klimazonen - die bis heute funktionieren - bieten jedoch großartige Möglichkeiten. Beispielsweise wird erforscht, wie sich Vulkangestein über die Jahre/Jahrzehnte in fruchtbare Ackerkrume verwandelt. Oder vielversprechende Versuche zum 'Vertical Farming' (Anbau von Pflanzen an senkrechten Wänden, was auch in Innenstädten möglich wäre) oder zu 'Hydrokulturen' ('Hydroponics', Anbau von Pflanzen ohne Erdreich, nur mit Nährstofflösung). Daneben laufen viele kleinere Projekte, wobei sich Studenten und Doktoranden förmlich die Klinke in die Hand geben. Wohnen können sie gleich auf dem Campus - in den schmucken Adobe-Häusern der früheren Begleitcrew. Die Quartiere der Bionauten hingegen stehen - wie das Gros der gesamten Anlage - dem zahlenden Besucher offen (Ø 100.000 pro Jahr), der sich dort ein hautnahes Bild davon machen kann, unter welchen Umständen die acht Bionauten damals leben und arbeiten durften.
![]() Die Technik des Biosphere 2 |
![]() Der Untergrund wird von komplexer Technik beherrscht: |
Auf den ersten Blick sieht man jedoch nur die eine Hälfte der Anlage. Die andere Hälfte, der technische Teil - und auch der ist riesig - versteckt sich unter der Erde. Selbst ein eingefleischter Technikfan kann sich kaum ausmalen, welch immenser Aufwand nötig war, um in den hermetisch abgeschlossenen Gebäuden so unterschiedliche Biotope wie 'Wüste', 'Savanne', 'Mittelmeerklima' oder 'Regenwald' zu schaffen. Das ganze Areal ist durchzogen von unterirdischen Rohrleitungen, Wärmetauschern, Wasseraufbereitungsanlagen, Luftkanälen und Servicegängen. Einen klitzekleinen Einblick in diesen verborgenen Teil der Anlage bietet die 'Lungs-Tour', auch wenn der Ticketpreis in keinem Verhältnis zu den gebotenen Informationen steht.
![]() Das Auffälligste sind die beiden 'Lungen'. |
Das Auffälligste ist die 'Regelung' des Luftdrucks. Brennt die Sonne Arizonas nämlich auf die riesigen Glasflächen, erwärmt sich darunter die Luft. Und warme Luft expandiert. Nach einer halben Stunde wären von den dicken Glasscheiben nur noch Krümel übrig (noch einmal: die Gebäude sind luftdicht abgeschlossen!) Daher wurden zwei sogenannte 'Lungen' installiert - gewaltige Kuppeln, die auf den Bildern gut zu erkennen sind. Darin hängt je eine 16 Tonnen schwere Aluplatte frei im Raum, gehalten nur von einer überdimensionalen Gummimembrane. Darüber herrscht der Luftdruck der Umgebung, darunter der der Treibhäuser. Dehnt sich die Treibhausluft nun aus (Sonneneinstrahlung), hebt sich die Aluplatte - bis zu 6 Meter -, ohne einen Hauch davon nach draußen zu lassen. Nachts, wenn die Luft abkühlt, sinkt die Aluplatte wieder herab, bis drinnen und draußen gleicher Druck herrscht. Eine genial einfache, wenn auch in der Ausführung monströse Konstruktion. Ohne sie hätte man die hermetisch dichten Treibhäuser aber gar nicht betreiben können!
![]() Früher wurde auch zu Solarenergie geforscht. |
Der Energiehunger dieses Technikparks war bzw. ist denn auch gewaltig: 3MW, soviel wie eine deutsche Kleinstadt! Vom Ansatz her vergleichbar mit dem, was drinnen erforscht wurde, war die Energieversorgung jedoch nicht: Autarkie oder Nachhaltigkeit waren draußen nicht gefragt, vielmehr Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit. Anstelle einer Solaranlage wurde daher ein eigenes Gas-Kraftwerk installiert, dazu ein schweres Dieselaggregat für Notfälle. Das alles nur, um drinnen nachvollziehbare Versuchsbedingungen zu schaffen! Ein gewaltiger Aufwand! Die vielleicht zwei Dutzend PV-Module, die man heute auf dem Campus findet, stammenerst aus dem 2000-ern und dienen eher als Zierde, denn als Energiequelle. Auch die zwei Konzentratoranlagen (sh. Bilder) dienen nur noch als Museumsstücke.
![]() Früher wurde auch zu Solarenergie geforscht. |
Wenn ich mir jetzt vorstelle, eine ähnliche Anlage würde auf dem Mond errichtet: welche Gigantomanie wäre dort erforderlich, um acht Menschen auch nur halbwegs am Leben zu erhalten! Acht Menschen, die vollauf damit beschäftigt wären, sich selbst zu versorgen. Da ist noch kein Jota 'Exploration' oder 'Bau eines weiteren Habitats' oder gar 'Vorbereitung für den Weiterflug zum Mars' getan! Macht das unterm Strich wirklich Sinn?
![]() Im Vorgarten blühen die Kakteen … |
Wäre es nicht einfacher - und weit resourcensparender -, erst einmal unsere eigene Biosphäre wieder lebenswert - und überlebensfähig - zu gestalten, bevor wir einen weiteren Lebensraum (auf dem Mond, auf dem Mars oder wo auch immer) einrichten und dann doch wieder zerstören - aus kollektiver Blödheit heraus? Sicher wissen wir noch nicht alle Details, um ein Leben auf unserem Planeten lebenswert und konsequent nachhaltig zu gestalten, doch hat Biosphere 2 nicht schon vor zwanzig Jahren aufgezeigt, wie es möglich sein könnte? Warum verwenden wir dieses Wissen - das sich inzwischen tausendfach vermehrt hat - nicht dazu, unsere eigene Biosphäre zu sanieren und so zu gestalten, dass alle Menschen, alle Tiere, ja alle Lebewesen friedlich zusammenleben können? Ist diese Aufgabe wirklich zu groß für eine Spezies, die sich gerne als 'weise' (sapiens) bezeichnet?
![]() Luftbild des Projekts 'Biosphere 2' |