Reiseland Canada
Eins vorweg: Canada ist ein Reiseland par excellance. Es gibt viel zu sehen: viel Kultur und viel Landschaft. Sehr viel Landschaft! An die Dimensionen des Landes - das zweitgrößte der Erde - muss man sich erst gewöhnen. Leider erlauben die Canadier nur sechs Monate Aufenthalt am Stück. Das ist (rückblickend betrachtet) viel zu wenig für dieses gigantische Land. Will man Regionen im Osten wie die im Westen gleichermaßen erkunden - und nicht nur durchrasen -, sollte man an zwei oder mehr Etappen denken! Dabei wäre es schade, die eine oder die andere Seite des Kontinents unter den Tisch fallen zu lassen. Beide haben Ihren besonderen Reiz. Ja, sogar die viel geschmähte Mitteletappe durch die Prärien im Osten Albertas, in Manitoba und Saskatchewan hat einiges zu bieten und gehört zu diesem Land einfach dazu! Auch wenn dort der eine oder andere 'reine Fahrtag' zu bewältigen ist.
Die Infrastruktur zum Reisen ist ideal. Es gibt mehr als genug Campgrounds (Mal von den Nationalparks abgesehen; da sind die wenigen Plätze oft mittags schon voll). Die Preise sind kulant (8 bis 25 Euro pro Nacht, je nach Ausstattung) und die meisten Campgrounds sind landschaftlich ausgesprochen toll gelegen (meist an Seen oder Flüssen) sowie prima ausgestattet. Picknickbank, Feuerstelle und Sichtschutz zum Nachbarn sind das Minimum. Ab und zu gibt's gratis Feuerholz und manchmal auch Besuch von tierischen Nachbarn: vom Streifenhörnchen bis zur Wapiti-Hirsch-Familie kannst Du alles erleben. Allerdings auch Bären, vor denen (im Westen) eindringlich gewarnt wird und die eben gewisse Sicherheitsmaßnahmen erfordern: einen aufgeräumten Platz nämlich! Dafür campst Du mitten in der Natur - in ihrer Heimat. Zwischenfälle allerdings sind höchst selten!
Auch ohne Zelt oder RV (Recreational Vehicle = Reise-/Wohnmobil) bist Du in Canada problemfrei unterwegs. Motels findest Du in jeder Ortschaft, wobei eine Ortschaft durchaus mal nur aus eben diesem Motel, der Tankstelle und dem 'General Store' (einem Tante-Emma-Gemischtwarenladen) bestehen kann. Hotels der besseren Kategorien findest Du in jeder Kleinstadt und in größeren Städten kannst Du in 4- und 5-Sterne-Luxus schwelgen. Das ideale Reisemittel für Canada ist und bleibt aber der Camper, egal welcher Größe (verfügbar vom Miet-PKW mit Zeltausrüstung bis zum omnibusgroßen RV mit PKW oder 4WD hinten dran).
Die Canadier sind ein mobiles Völkchen. Schon immer gewesen. Vor allem in der Hauptreisezeit zwischen Canada Day (Anfang Juli) und Labour Day (Ende September), den traditionellen Schulferien, in dem alles unterwegs ist, was RV oder Zelt auftreiben kann. In dieser Zeit sind Quartiere, Fähren etc. schon mal frühzeitig ausgebucht (bei gefragten Plätzen schon mal mehrere Monate im Voraus). Allerdings ist es genau diese Zeit, in der alle Touristenattraktionen geöffnet haben, vorher oder nachher steht man schon mal vor verschlossenen Türen! Natürlich ist auch das Wetter in der Hauptreisezeit meist etwas besser und stabiler als in der Nebensaison. Worauf Ihr Euch (wie bei uns) aber nicht verlassen solltet.
Das Thema Sicherheit ist in Canada eigentlich kein Thema. Selbst in den Städten lassen die meisten Einheimischen ihre Eingangstüren unverschlossen ... was für mich symptomatisch ist für das Vertrauen der Canadier zu ihren Nachbarn. Verlassen habe ich mich darauf trotzdem nicht.
Das Übernachten im RV (nur dazu kann ich hier aus eigener Erfahrung berichten) außerhalb der offiziellen (und oft sehr schönen) Campgrounds kann schon mal etwas Sucherei und Geduld erfordern - spart aber auch so manchen Dollar! Zumindest wenn Ihr nicht auf den gern genutzten (und äußerst romantischen) Parkplätzen der Walmarts stehen wollt (was häufig toleriert wird). Wenn Ihr lieber außerhalb der Ortschaften nächtigen wollt, bieten sich manchmal frühere Camps und Kiesgruben der Straßenbauer an. Sie liegen in der Nähe der Straßen, sind oft schlecht einsehbar und auch ein wenig lärmgeschützt. Naturidylle dürft Ihr da allerdings nicht erwarten. Nachtplätzchen an Seen oder Flüssen sind in Canada Mangelware, obwohl es wohl kaum ein Land mit mehr Seen und Flüssen gibt. Ihre Ufer allerdings sind entweder völlig unzugänglich - oder mit Wochenendhäuschen gespickt, an denen große Schilder "Private Property" jede Zufahrt verbieten.
In den Wäldern des Nordens schaut es nicht wesentlich anders aus. Die "grünen Schluchten" ziehen sich schon Mal Hundert Kilometer dahin. Da reiht sich ein Baum an den anderen, ein "Eindringen" ist allenfalls zu Fuß und mit der Kettensäge möglich. Gibt's dann doch mal eine Lücke zwischen den Bäumen, hängt dort mit Sicherheit wieder ein Schild "Private Property". Einfacher ist es hier eventuell, direkt eine Forest Road in die Fahrtroute einzubauen, denn an ihnen finden sich immer wieder Lichtungen, die zum Nächtigen einladen (meist ruhig bis absolut einsam!)
Mit etwas Einfallsreichtum und "Gespür" für die Landschaft findet Ihr praktisch überall einen "alternativen Nachtplatz" - und sei es nur für eine Nacht während der Transportetappen. Und fragt ihr einen Einheimischen, verrät er Euch vielleicht seinen persönlichen Lieblingsplatz, der dann wirklich idyllisch irgendwo im Nirgendwo liegt!
Frauen stehen ihren Mann
Das fällt in Canada zu allererst auf: Frauen sind im öffentlichen Leben sehr viel präsenter als irgendwo in Europa. Nicht erst seit dem Erkämpfen ihres Wahlrechts (1923) stehen sie hier ihren Mann. Im wahrsten Sinn des Wortes! In den Büros sitzen sie nicht nur am Empfang, sondern auch in den Chefsesseln. Im Straßenbau halten Sie nicht nur das obligate "Stopp-Zeichen", sondern sitzen auch am Steuer schwerer Caterpillar und dicker Baumaschinen. Mindestens ein Viertel der Trucker des Landes sind Truck-Ladys. Und nicht wenige der gigantischen Ranches (inzwischen millionenschwere Unternehmungen) werden von Frauen geleitet, die den Cowboys (und zahlreichen Cowgirls) sagen, wo's langgeht! Zumindest Calgary und Vancouver haben derzeit Bürgermeisterinnen. Im Supermarkt hingegen trifft man öfters mal den Herrn mit dem Einkaufszettel und an der Kasse packen junge Männer die Einkäufe in die (heiß geliebten) Plastiktüten!
Mag das ein Grund sein, warum in Canada (fast) alles klappt?
Schilder, Schilder, Schilder
Noch augenfälliger sind Schilder! Nicht nur die unzähligen Parkverbotsschilder in Victoria. Sondern Schilder allenthalben. Der deutsche Schilderwald ist ja schon sprichwörtlich, der kanadische übertrifft ihn noch um Längen. Nicht nur im Verkehr wird dem Fahrer minutiös gesagt, was er zu tun hat: keep right , stop at this line , 4-way-Stop , slow , go on green light. Auch das tägliche Leben scheint nur über Hunderte von Schildern zu funktionieren: pls que up for bus , do not cross , use walkway , dog on leash , pick up after your dog , do not lean over fence, hold to the handrail um nur ein paar der gebräuchlichsten zu nennen. Daneben auf den Schiffen der Inside Passage noch die Warnung Caution! Whistle may sound any time, was auch noch extra über Lautsprecher angekündigt wird, muss doch einmal getutet werden. Damit nur ja keiner erschrickt! Ulkig.
Manchmal habe ich das Gefühl, der Canadier müsse bei der Hand genommen und ihm jeder Schritt erklärt werden, um ihn unbeschadet durchs Leben zu bringen. Bei kleinen Kindern mag das durchaus hilfreich sein, aber der Erwachsene fühlt sich dabei gelegentlich doch für unzurechnungsfähig gehalten - oder bevormundet. Wie man's gerade interpretieren mag.
Manchmal hat das allerdings auch sein Gutes: an Automaten für das C-Train-Ticket in
Calgary beispielsweise (wie an praktisch
allen anderen Automaten) wird der Benutzer vorbildlich durch ein umfangreiches Bedienmenü geführt:
- pls press any button
- pls select ticket
- pls select age
- pls enter number of tickets
- pls verify fare
- pls choose payment
- pls verify data
- pls pay at the right
- pls take change below
- pls take ticket below
- pls validate ticket on the left
- thank you for choosing c-train
Inzwischen ist der Zug nur leider längst abgefahren ...
Eisenbahn
Ja, die liebe Eisenbahn. Historisch gesehen ist sie wohl das Hauptbindeglied zwischen den canadischen Staaten. Erst nach der Zusage aus Ottawa zum Bau einer transcanadischen Eisenbahn traten die westcanadischen Staaten British Columbia und Alberta der "Dominion of Canada", dem Vorläufer des heutigen Canada bei. Dementsprechend hohes Ansehen genießen die canadischen Eisenbahngesellschaften auch heute noch bei der Bevölkerung.
Nach wie vor sind die Schienen die Hauptverkehrsadern dieses riesigen Landes. Weit vor den Autobahnen! Das Gros des Güterverkehrs wird über die Schiene abgewickelt. Hält man sich vor Augen, dass Ein- und Ausfuhren nach Übersee nur über die Seehäfen Vancouver (Westküste) und Montreal bzw. Quebec (Ostküste) abgewickelt werden können, bekommt man eine Vorstellung davon, welche Gütermengen hier kreuz und quer durch das Land transportiert werden müssen. Diese Gütermengen auf der Straße würden unweigerlich zum Kollaps der wenigen Freeways in Ost-West-Richtung führen! So kreuzen schier endlos lange Züge mit Containern oder speziellen Getreidewaggons durchs Land. Vorn zwei bis drei Lokomotiven, hinten eine oder zwei. Dazwischen habe ich bis zu 160 Waggons gezählt, Gesamtlänge des Zugs an die vier Kilometer (sicher habe ich nicht den allerlängsten erwischt)! Eine Begrenzung durch die Oberleitung gibt's nicht (die Loks fahren mit Diesel), entsprechend hoch kann man packen: Container gibt's grundsätzlich im Doppelpack übereinander, Getreidewaggons messen (ohne Radsatz) an die fünf Meter in der Höhe!
Zeit hat bei den riesigen Entfernungen nur zweite Priorität, also zuckeln die Züge mit selten mehr als 50 bis 60 km/h durch die Lande. Hauptsache, die Güter kommen irgendwann ans Ziel. An den Bahnübergängen ist daher eines gefragt: Geduld! Und wenn man in der Nähe wohnt: Ohropax! Denn Sicherheit steht in Canada an oberster Stelle, natürlich auch bei der Bahn. Also muss an jedem Bahnübergang "geblasen" werden und das Trompeten der Bahn holt auch den tiefsten Schläfer noch meilenweit entfernt aus dem Schlaf! Und die meisten Züge fahren nachts (so habe ich den Eindruck) und die Bahnübergänge liegen natürlich mitten in den Ortschaften bzw. ganz nah an irgendwelchen Campingplätzen! Selbst durch ausgesprochene Touristenregionen wie Banff u.ä. rollen jede Nacht vier bis fünf Züge und veranstalten ihr Blaskonzert.
Grüne Schluchten
Die endlosen Wälder des Nordens Canadas sind schon etwas ganz Besonderes. "Borealer Nadelwald" bedeckt Gebiete von der mehrfachen Größe Europas! Höchst erfreulich, sind sie doch eine der beiden Lungen unseres Planeten und kompensieren ein klein wenig den exorbitanten CO2-Ausstoß Canadas und seines Nachbarn im Süden.
Die Wälder sind weitgehend naturbelassen und erstrecken sich außerhalb der Siedlungsgebiete (unmittelbar an der Grenze zu dem Vereinigten Staaten) "von Horizont zu Horizont". Nur an ganz wenigen Stellen wird die grüne Weite durch (meist winzige) Siedlungen unterbrochen, an deren Peripherie der Wald ein wenig gerodet wurde. Das weit überwiegende Gros bildet ein einheitliches dunkles Grün aus "Black Spruce", einer Fichtenart, die an das hiesige Klima optimal angepasst ist. Und nebenbei ein prima Lieferant für die Forstbetriebe ist, denn ihre Stämme sind kerzengerade, sie wachsen (für hiesige Verhältnisse) schnell und ihr Holz ist von hoher Qualität. Ein Vordringen in diese Wälder ist eigentlich nur mit der Kettensäge möglich, denn die Äste beginnen direkt über dem Boden und die Stämme stehen "dicht an dicht".
Ein paar winzige Narben ziehen sich durch das Grün: Highways. Hunderte von Kilometern lang verbinden sie die wenigen Ortschaften und bringen den Reisenden von A nach B. Vornehmlich in den Norden. Für die Highways schlugen die Bulldozer der Bautrupps exakt hundert Meter breite Schneisen in den "Ur"-Wald, in der Mitte der Schneise wurde die Straße aufgeschüttet, die Gräben links und rechts gaben das Füllmaterial her und dienen heute als Regenrinnen der Straße und im Winter als Pfad für Schneemobile oder ATVs. Links und rechts steht wie seit Urzeiten der "Urwald" und lässt nichts in sein Inneres. Nicht einmal die Blicke des Reisenden. Er bildet eine dichte "grüne Wand". Was dahinter liegt, bleibt im Verborgenen. Ob da eine Farm liegt, ein glitzernder See zur Rast einlädt oder ein paar Millionen weiterer Bäume wachsen, hat den Vorüberfahrenden nicht zu interessieren!
Man fährt wie in einer grünen Schlucht! Ausblick höchstens 50 Meter links und rechts der Straße, dahinter nichts. Welch ein Unterschied zur Wüste, wo der Blick bis zum Horizont streifen und der Reisende all die Landschaft in sich aufsaugen kann. Welch ein Unterschied zur Prärie, wo der Blick zumindest ein paar Kilometer über satte Getreidefelder streifen kann. Welche Parallele zu den monotonen Häuserschluchten der großen Städte, wo der Blick allenfalls bis zur nächsten Betonwand streifen kann ...
Man muss schon weit nach Norden fahren, weit über den Polarkreis hinaus, um den grünen Schluchten zu entkommen und den Blick wieder schweifen zu lassen. Über Taiga und Tundra, die Wüsten des Nordens ...
"Thank you for talking to me"
Die Freundlichkeit, die Höflichkeit, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme der Canadier hat mich tief beeindruckt. Ein freundliches "Sorry", wenn jemand in den Regalreihen des Supermarkts vor Dir vorbeigeht, ein kurzes Handzeichen an der Kreuzung, wenn Dir jemand den Vortritt lässt, das Anhalten des Verkehrs, wenn Du als Fußgänger am Straßenrand stehst und auch nur den Anschein erweckst, über die Straße zu wollen, das Abbremsen der Überholenden, wenn Du auf die 'schnelle' Spur wechseln willst ... Ich könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen. Es ist ein Phänomen, das sich selbst im ebenso britisch geprägten Australien (wo ähnlich wenig Hektik herrscht wie hier) noch nicht erlebt habe. Hier fühle ich mich wohl, hier darf ich Mensch sein, hier werde ich akzeptiert!
"You have an awesome rig, Sir!" So oder so ähnlich beginnen die sicher an die hundert Erläuterungen, die ich zur Lady Grey abgeben muss. Zum Ende der Etappe wird mir das fast ein bisschen viel, aber man merkt den Menschen Ihre Begeisterung und ihr Interesse für die Lady und für meine Reise an. Jeder wünscht mir eine gute Weiterreise und schließt mit einem "thank you for talking to me". Habt Ihr so etwas jemals in Europa gehört? Ich nicht! Mich entschädigt es ein ums andere Mal für die immer gleichen Fragen! Wie könnte ich da dem nächsten Fragesteller eine Antwort schuldig bleiben?
Highlights (und ein winziges Lowlight) der Etappe durch Canada und Alaska:
- Freundlichkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme der Menschen: im 'europäischen' Osten mehr noch als im touristischen respektive 'US-amerikanisch' geprägten Westen
- Das Wildlife generell, Bären, Moose und Bison haben mich am meisten beeindruckt, auch die anderen sind sehr zahlreich. Die geringe Menschenscheu der Tiere, die offenbar wissen, dass ihnen von den Zweibeinern keine Gefahr droht.
- Rundflug über den Denali bei herrlichem Sonnenschein (Alaska). [mehr ...]
- Cape Breton Island im Spätwinter (Nova Scotia). [mehr ...]
- Fossilienstätten bei Joggins und Miguasha (Nova Scotia bzw. New Brunswick). [mehr ...]
- Inselwelt der Georgian Bay und Manitoulin Island (Ontario). [mehr ...]
- Die Stadt Calgary (Alberta). [mehr ...]
- Inside Passage durch die Inselwelt der Westküste (British Columbia). [mehr ...]
- Dawson City und die Geschichte des Klondike Goldrausches (Yukon). [mehr ...]
- Bisonherde in den Riding Mountains (Saskatchewan). [mehr ...]
- Keine (Wander-) Ausflüge in die Nationalparks ohne Permit und Bezahlung. [mehr ...]
Vieles von dem, was ich schon über Canada geschrieben habe, trifft auch auf seinen südlichen Nachbarn zu. Wobei ich annehme, dass die USA eher Canada geprägt haben als anders herum.
Reiseland Vereingte Staaten von Amerika (Westen)
Auch die USA, zumindest der Westen (nur den kann ich hier beurteilen) sind ein Reiseland par excellance. Das wissen allerdings auch die Einheimischen. Ein im Vergleich zu Europa viel größerer Prozentsatz der Bevölkerung lebt ganzjährig im Caravan bzw. Wohnmobil und zieht - den Temperaturen folgend - von einem Bundesstaat zum nächsten. Im Herbst nach Süden, im Frühjahr nach Norden.
Auch deswegen sind die meisten US-Wohnmobile wahre Monster in den Abmessungen. Den Touristen - speziell den aus Europa - erkennt man schon von weitem an der Winzigkeit seines Reisegefährts.
Die Infrastruktur zum Reisen ist ideal. Es gibt mehr als genug Campgrounds. Eine unrühmliche Ausnahme bilden leider gerade die interessanten Nationalparks: da sind die Plätze oft mittags schon proppenvoll. Abhilfe schafft nur die vorzeitige Reservierung übers Internet, allerdings ist man dann terminlich arg gebunden. Auch hier sind die besten Plätze schon Monate im Voraus vergeben! Der Individualreisende hat da immer das Nachsehen!
Die Preise der Camps in den Nationalparks sind kulant (8 bis 25 Euro pro Nacht, je nach Ausstattung) und die meisten Campgrounds sind landschaftlich toll gelegen (meist an Seen oder Flüssen) sowie prima ausgestattet. Picknickbank, Feuerstelle und Sichtschutz zum Nachbarn sind das Minimum. Ab und zu gibt's gratis Feuerholz und manchmal sogar Besuch vom tierischen Nachbarn: vom Streifenhörnchen bis zur Wapiti-Hirsch-Familie kannst Du alles erleben.
Ausnahmen gibt's allerdings auch hier: die Campgrounds in den großen Städten. Zum einen sind die wenigsten Plätze nahe an den interessanten Stadtvierteln gelegen, sodass man nur per Bus oder Bahn - oder noch öfters nur mit dem eigenen Vehikel - zu den Sehenswürdigkeiten kommt. Zum anderen sind die Preise meist gesalzen (40 bis 120 Euro pro Nacht) und die Stellplätze klein und wenig attraktiv - um nicht zu sagen: abstoßend. Im besten Fall ist der Nachbar durch einen Sichtschutz getrennt, oft auch nur durch eine Linie auf dem blanken Beton!
Schilder, Schilder, Schilder
Auch in den USA sind Schilder allgegenwärtig! Soll noch mal einer über den deutschen Schilderwald jammern! Dabei kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch dem US-Amerikaner (wie dem Canadier) alles und jedes - per Schild - gesagt werden muss. Manchmal kommt man sich tatsächlich vor wie ein kleines Kind! Oder hätte ich etwa an der Grenze mein bisschen Verstand abgeben müssen?
Straßenverkehr
Einer der Hauptvorteile, hier zu reisen, ist ... der Straßenverkehr. Es herrscht viel Verkehr! Die Zahl der Autos pro Haushalt ist wohl in keinem Land der Welt größer! Doch alles läuft easy! Die Straßen sind breit, zwei oder drei Fahrspuren pro Richtung schon fast das Minimum. Es gibt kein Gehupe, kein Gedrängel, kein Vorfahrt nehmen, kein riskantes Überholen! Man hat Zeit - besonders im Auto, wie's scheint! Gerade andersrum wie in Deutschland! Fährt man 'schnell mal' ins Nachbardorf, ist man nicht selten zwei, drei Stunden unterwegs. Da fallen die fünf Minuten an der Kreuzung - bis auch der allerletzte Querverkehr vorbei ist - nicht ins Gewicht! Und Fußgänger haben immer Vorfahrt! Steht einer meilenweit voraus am Bürgersteig, steigt man schon auf die Bremse. Das ist sehr gewöhnungsbedürftig - besonders für den europäischen Fußgänger!
Dass hier viele Schilder stehen, habt ihr oben schon gelesen. Manche davon stehen ja auch an den Straßen und erleichtern die Orientierung. Auf dem neuntausend Kilometern gab's keine Ortsdurchfahrt, keine Abzweigung, an der es irgendwelche Zweifel gab, wo's langgeht. Ein Navi ist - sogar in den Städten - absolut überflüssig. Woran man sich gewöhnen muss, ist, dass auf den Wegweisern meist nur Straßennummern stehen, kaum mal das Ziel, wo die Straße hinführt. Hat man seine Landkarte vorher gut studiert, ist das nur von Vorteil!
Interesse oder ungezügelte Neugierde?
Dass die Lady Grey etwas Aufsehen erregt, ist mir seit Anfang an klar. Trotzdem wird mir die Neugierde der US-Amerikaner manchmal zu viel. Es vergeht kein Stopp - sei es an der Tankstelle, am Shoppingcenter oder auf dem Camp - ohne dass ich auf die Lady angesprochen werde.
Im Prinzip habe ich gar nichts dagegen - im Gegenteil! Aber auch hier macht der Ton die Musik. Fragten die Canadier höflich und ausgesprochen freundlich, fragten nach dem 'Woher' und 'Wohin', höre ich hier in den Staaten einfach nur blanke Neugierde durch - nicht wirkliches Interesse. Natürlich gibt's auch ein paar Interessierte, doch in neun von zehn Fällen geht das Gespräch über "What kind of rig is this?" oder "Is this a camper?" nicht hinaus. Kein "How interesting!", kein "Have a safe journey!", kein "Good luck!" zum Abschied. Nichts! Ja, manche Zeitgenossen laden sich gleich ungeniert ins Wohnzimmer ein und wollen die Lady Grey von innen besichtigen - ohne vorher auch nur zwei Worte mit dem Bewohner gewechselt zu haben! Nein Danke!
Supermärkte und Shopping Malls
Ähnlich easy wie der Straßenverkehr ist das Einkaufen. In den ganz abgelegenen Orten gibt's manchmal nur einen General Store, in dem man einen bestimmten Artikel vielleicht vergeblich sucht. In allen anderen Ortschaften gibt's mindestens einen Ableger der großen Supermarktketten. Neben viele, viele Meter langen Tiefkühlschränken für alle denkbaren Fertiggerichte, für Pizzas, Burger oder Speiseeis gibt's auch eine schier grenzenlose Auswahl an frischen Sachen: Obst und Gemüse in einer in Europa unbekannten Vielfalt, frisches Fleisch, frischen Fisch (auch weitab vom Meer), frisch gebackenes Brot (meist aber nur Weißbrot; selbst das 'Vollkornbrot' ist pappig), Milcherzeugnisse und Obstsäfte jeder Sorte. Daneben gibt's überall Theken mit warmen Gerichten oder Salatbars, an dem man sein Mittagessen ganz nach Belieben selber zusammenstellen kann.
Es gibt nichts, was man dort nicht erstehen kann! Außer Tee ohne Teebeutel ... haltbare Kuhmilch ... und wirklich schmackhaftes Brot: drei Dinge, die ich im ganzen Land vergeblich gesucht habe!
Das alles ist vergleichsweise preiswert - wenn auch nicht immer so schmackhaft, wie wir das aus Europa gewohnt sind.
Was immer wieder auf Verwunderung stieß, war meine strikte Ablehnung von Plastiktüten. Meist nahm ich ja meine eigene Stofftasche mit, beim größeren Einkauf schon mal den ganzen Einkaufwagen. Trotzdem sollte an der Kasse jedes Teil meines Einkaufs in eine Plastiktüte wandern - erst danach in meine Tasche bzw. den Einkaufswagen. Als ich dankend ablehnte, schaute man mich oft verwundert an und fragte - etwas verständnislos - nach dem Grund. Einmal wurde ich sogar vom Sicherheitsdienst aufgehalten, weil meine Einkäufe ohne Plastiktüten im Wagen lagen. Da müssen die Amerikaner noch gewaltig dazulernen! Kalifornien will dieses Jahr einen kleinen Schritt in die richtige Richtung unternehmen: Wegwerftüten sollen innerhalb von fünf Jahren verboten werden - und an jeder Kasse müssen wiederverwendbare Taschen angeboten werden. Noch aber habe ich niemanden gesehen, der auch nur nach einer wiederverwendbaren Tasche gefragt hätte ...
Einen riesigen Vorteil bieten die meisten Supermärkte oder Shopping Malls für den Reisenden: auf den riesigen Parkplätzen - schließlich fährt ja jeder mit dem Auto zum Einkaufen - ist ausreichend Platz für Wohn- und Reisemobile. Oft wird sogar erlaubt, dass man über Nacht dort stehen kann. WALMART hat dazu sogar eine eigene App eingerichtet. Das nenn ich mal Kundenorientierung!
Sauberkeit
Die Vereinigten Staaten und vor allem Californien sind sauber. Allerdings liegt das weniger an ihren Bewohnern, die die leere Coladose, die Schachtel des Hamburgers, den abgefahrenen Reifen oder das Autowrack 'ordnungsgemäß' entsorgen würden. Nein, zu verdanken ist die Sauberkeit zum einen natürlich der Müllabfuhr, die auch um die Müllplätze herum sauber macht. In erster Linie verantwortlich sind Tausende ehrenamtlicher Helfer, die die Straßenränder von einfach und achtlos weggeworfenen Unrat säubern! Die 'Wohltäter' dürfen dann auch - über ein kleines Schildchen - am Straßenrand auf sich aufmerksam machen. Ohne sie würde das ganze Land buchstäblich im Schmutz versinken! Viele - um nicht zu sagen, die meisten - US-Amerikaner werfen ihren Müll einfach weg, wo er gerade anfällt. Irgendjemand wird's schon richten! Tolle Einstellung!
Sehenswertes
Neben Shopping Malls und Campgrounds gibt's natürlich eine Menge zu sehen. Eine ganze Menge! Vorwiegend in den Weststaaten - allen voran in Utah und Arizona - ist die Landschaft einfach faszinierend. Eine derartige Ballung von landschaftlichen und geologischen Highlights findet man sonst wohl nirgends sonst auf der Welt!
Womit die US-Amerikaner das allerdings verdient haben, wird mir zeitlebens ein Rätsel bleiben! Sehenswert ist es allemal!
Resümee
Alles in allem kann ich sagen, dass sowohl die USA als auch Canada ganz tolle Reiseländer sind. Es gibt wenige andere Staaten, in denen sich die Vielzahl von Sehenswürdigkeiten - kultureller wie landschaftlicher Art - mit einer derartigen Einfachheit des Reisens paaren. Solltet ihr also euren Finger auf dem Globus wandern lassen in der Suche nach einem Reiseziel fürs nächste Jahr: USA (Westen) und Canada (Osten und Westen) sind definitiv eine Reise wert!
Highlights (und Lowlights) der Etappe durch die Weststaaten der USA
- Yellowstone Nationalpark kurz vor Saisonende (Wyoming): Geysire, heiße Quellen, zwei Wasserfälle; an eindrucksvollsten die heißen Pools am Südufer des Yellowstone Lake [mehr ...]
- Deutsches Brot in einer Bäckerei im Star Valley (Wyoming): nach wochenlangem matschigem Weißbrot wieder etwas 'Handfestes' zwischen den Zähnen!
- Colorado Valley nahe Cisco (Utah): Landschaft wie im Grand Canyon bzw. Monument Valley, nur ganz ohne Touris. [mehr ...]
- Grand Staircase - Escalante National Monument (Utah): der farbenfrohe Bryce Canyon und atemberaubende Felsformationen. [mehr ...]
- Grand Canyon Southrim East (Arizona): Schlichtweg das Highlight schlechthin; geologisch und landschaftlich hoch imposant; faszinierende Erdgeschichte; ohne allzu viel Nepp. [mehr ...]
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- Titus Canyon des Death Valley (California): geschichtsträchtige Piste zwischen senkrechten Felswänden [mehr ...]
- San Andreas Verwerfung (California): furchteinflößende Risse in der Landschaft zeugen von den gewaltigen Kräften der Erde [mehr ...]
- Joshua Tree National Park (California): pittoreske Felsen, Raum für lange Wüstenwanderungen und tolle Campsites [mehr ...]
- Im Vergleich zu Canada fällt vor allem das fehlende Wildlife auf. Selbst in Montana (nahe der Grenze zu Canada) war keinerlei Wild zu entdecken. Dafür ein Menge Schilder mit Einschusslöchern! Das gleiche gilt übrigens auch für den Vergleich zwischen Alaska und Canada. Was es allerdings in Hülle und Fülle gibt sind (Schoß-)Hündchen bei Campern und Städtern.
Abschließend noch die Zahlen für die Freunde der Statistik:
Canada (incl. Alaska):
Aufenthaltsdauer: [1] | 180 Tage (5 Monate, 29 Tage) | ||
Gefahrene Kilometer: [1] | ca. 22'850 km | ||
Spritkosten: | ca. 4'600 Euro | ||
Verschiffung Hamburg - Halifax (one-way): | ca. 4'350 Euro | ||
Fähren und Mini-Kreuzfahrten: | ca. 1'200 Euro | ||
Lebenshaltungskosten: | ca. 1'900 Euro | ||
Übernachtungskosten (ohne Hotel Halifax): | ca. 1650 Euro | ||
Durchschnittliche Kosten pro Tag: [2] | ca. 89 Euro |
United States of Amerika (excl. Alaska):
Aufenthaltsdauer: | 96 Tage (3 Monate, 5 Tage) | ||
Gefahrene Kilometer: | ca. 9'000 km | ||
Spritkosten: | ca. 1'500 Euro | ||
Lebenshaltungskosten (incl. kleinerer Neuanschaffungen): | ca. 1'200 Euro | ||
Übernachtungskosten: | ca. 750 Euro | ||
Durchschnittliche Kosten pro Tag: [2] | ca. 81 Euro |
Fußnoten:
(die Nummern führen zurück zur jeweiligen Textpassage ...)
[1]
Die Fahrstrecke war für die Aufenthaltsdauer deutlich zu lang! Es blieb kaum Zeit, mal mehr als zwei bis drei Tage an einem Fleck zu bleiben, die Eindrücke zu verarbeiten oder "Extratouren" zu unternehmen.
Alternativen: Route aufteilen auf zwei Etappe mit längerer Pause dazwischen (Winter!), damit mehrmalige Einreise nach Canada (max. 6 Monate Aufenthalt erlaubt) oder aber Kürzung der Fahrtroute (z.B. Wegfall des Alaska-'Abstechers'). Beide Möglichkeiten passten nicht in meinen Gesamtreiseplan. Und hinterher weiß man's eh immer besser!
[2]
Durchschnittskosten beinhalten neben den eigentlichen Reisekosten auch alle Fixkosten in der Heimat wie Krankenversicherung, Anwalt, Telefon und Mitgliedschaften (BDAE, ADAC) u.ä.